05_Risiken und Chancen aus der neuen E–Marktordnung

Vortrag von Udo Bamberger, DLR Rheinhessen-Nahe-Hunsrück, anläßlich der 54. Kreuznacher Wintertagung 2010


Die neue EU-Marktordnung ist seit dem 1. August 2009 in Kraft. Sie wurde ohne lange Diskussionen in einem sehr autoritären Stil als Verwaltungsakt für alle Mitgliedstaaten rechtsverbindlich eingeführt. Für Deutschland bringt sie nach fast 40 Jahren relativer Unabhängigkeit eine veränderte Systematik in der Weinbezeichnung. Die Grundordnung der Mostgewichts- und Qualitätsstufeneinteilung soll durch eine Ordnung mit Flächenbezug ersetzt und dabei jeweils Produktions- und Weintypen definiert werden. Die bisherigen Tafel- und Landweine wurden abgeschafft, die Kategorien „Wein“ sowie die beiden Herkunftsweine „g.g.A.“ und „g.U.“ neu definiert. Diese neue Systematik soll allerdings frühestens ab 2012 in Anwendung kommen. Nach intensiven deutschen Interventionen bei der EU ist es jedoch gelungen, die bisherigen Bezeichnungen bei Qualitäts- und Prädikatsweinen auch weiter zu nutzen – allerdings drohen dann ab 2012 bezeichnungsrechtliche Parallelsysteme, die den Verbraucher in arge Not stürzen könnten.


Grundsätzliche Ziele der EU
Mit der neuen Marktordnung sollen in der gesamten EU gleiche rechtliche Regeln eingeführt und eine Marktspaltung zwischen einfachen Konsumweinen und gehobenen Herkunftsweinen herbeigeführt werden. Die kleinere Einheit soll dabei grundsätzlich vor Kopien durch die Großen und vor dem Preisverhau geschützt und die Weinqualität im oberen Segment gesichert werden. Dazu sind allerdings Neuordnungen in der Flächenstruktur sowie Definitionen in Erzeugung und Weinbereitung notwendig.


Blick in die Geschichte des deutschen Weinbaues
Schaut man in die ältere deutsche Weinbaugeschichte (ca. 1800 -1971) zurück, so gibt es fast regelmäßig alle 30 - 40 Jahre ein Auf und Ab – ablesbar dann immer am Preisniveau der verkauften oder eben nicht verkauften Weine. Erfolgreich war man z.B. immer, wenn kleine abgesicherte Räume / Märkte und klare und differenzierte Bezeichnungen vorlagen. Aber auch wenn Winzer deutlich ihre Qualitätsbemühungen steigerten und /oder es mehrere gute Jahrgänge hintereinander gab, so schnellten auch dann die Preise hoch, die Weine wurden zum „Modewein“ und „erlangten in relativ kurzer Zeit Weltruf“. Schlechte Zeiten brachen dagegen an, wenn neue Weinbauregionen ins System dazu kamen, wenn es eine Massenvermehrung im unteren Segment gab und Billigimporte (früher) regionalen / (später) deutschen Wein Marktanteile wegnahmen. Strengere einseitige Gesetze verschärften oft die Situation anstatt sie zu verbessern, sie führten aber dennoch ab ca. 1880 zu einer Marktspaltung mit wenig erfolgreichen Massen – Konsumweinen und hoch angesehenen und teueren Spitzenweinen.

Die jüngere deutsche Weinbaugeschichte (1971–2009) zeigt heute mehr oder minder deutliche Abnutzungserscheinungen in ihrem Weinrechtssystem. Kann etwas gut sein, wenn (fast) jeder Winzer etwas anderes als Spitze definiert? Die Systematik der Qualitätsstufen ist in vielen Betrieben – v.a. bei trockenen Weinen - nahezu bedeutungslos geworden. Die Orientierung immer noch vieler Winzer am Mindestniveau und die Preislotterien zwischen den Betrieben und im Ladenregal sind Spiegelbild für die Schwächen im System. Namhafte deutsche Herkünfte wurden im Großlagen – Dschungel ohne Not geopfert. Trittbrettfahrer und Raubkopierer pulverisieren zudem regelmäßig alle Anstrengungen, höhere Preise am Markt zu installieren und unzählige neue Wertigkeitssysteme / Pyramiden stiften immer mehr Verwirrung am Markt und verunsichern damit den Verbraucher.

Analysiert man nun die Fehler der Vergangenheit, so muss man eigentlich automatisch zur Definition neuer Ziele kommen. Viele sagen der EU – Kommission nach, in erster Linie aus Geldnot oder aus Profilierungssucht die neue Marktordnung angestoßen zu haben. Vielleicht wollte sie aber auch die Mitgliedsstaaten wach rütteln und dazu ermuntern, in Eigenanalyse zu gehen und bestehende Systeme zu überarbeiten oder eben auf neuen Wegen neue Ziele anzugehen ohne dabei einen Gesichtsverlust erleiden zu müssen!


Anforderungen und Risiken im neuen System
Die neue Kategorie „Wein wird in Zukunft auch in Form der Rebsortenweine europaweit verfügbar sein. Es werden dann deutschlandweit/ europaweit die billigsten Lieferanten gesucht werden, so dass sich dann in einer überschaubaren Zeit eine Billigschiene mit der damit verbundenen Preisschlacht entwickeln könnte. Weine werden deutschlandweit in jedem Regal zu Schnäppchenpreisen, sogar mit Rebsortenangabe, zu haben sein und wenn es nicht gelingt, diese Rebsortenweine von den Rebsortenweinen mit Herkünften imagegemäß abzukoppeln, droht der allgemeine Preisverfall auch in der gehobenen Schiene. Die Herausstellung von Regionalität und Qualität bei Herkunftsweinen muss damit die oberste Zielsetzung sein, um dem zu erwartenden Preisdruck entgehen zu können.

Zur Definition der neuen Kategorie „Herkunftsweinmüssen Flächenabgrenzungen und nachvollziehbar höhere Weinqualitäten definiert werden. Die Orientierung am Mindestniveau wird ebenso Geschichte sein wie die planerische Unabhängigkeit des Einzelbetriebes. In gemeinsamer Anstrengung werden gemeinsame Differenzierungen erarbeitet werden müssen und die Einigung der Winzer untereinander - bei weniger Ego des Einzelnen - soll dann der Königsweg sein. Ein hoher Aufwand, der sicher auch mit Schmerzen verbunden sein wird - der aber wahrscheinlich in einem eher traditionellen Berufsstand über Wohl und Wehe für die Zukunft entscheiden könnte.

Die Parallelnutzung des alten und des neuen Systems ab 2012 ist angedacht. Vorreiter werden im Neuen ihren Nutzen suchen. Ohne Beschränkungen droht ein Bezeichnungschaos am Markt, das die Verbraucher verunsichern und weiter verwirren wird. Der nationale Gesetzgeber muss daher dringend Vorgaben definieren und sicherstellen, dass nicht vorschnell wichtige Herkunftsnamen (Flurnamen, Gewannennamen usw.) „verbraucht“ werden.


Chancen durch die EU – Marktordnung (im alten / neuen System)
Wie auch immer der Weg in Zukunft aussehen wird, so wird es nötig sein, im oberen Segment deutlich strengere Maßstäbe anzulegen, um nicht im See der Billigweine zu ertrinken. Im alten System wird man das liberale Minimalprinzip verlassen müssen. Hier bieten sich gesonderte Prüfungen (evtl. zusätzlich freiwillige) und besondere Bezeichnungen bei engeren Herkünften (Lagen) bzw. höheren Qualitätsstufen als Mittel der Wahl an.
Neue Begriffe, neue Pyramiden machen neugierig – insofern bietet das neue System sicher neue Chancen, die aber dieses Mal konsequenter umgesetzt werden müssen, um glaubhaft zu bleiben. Engere Herkünfte bieten vielfachen Schutz, eine konsequente Qualitätssicherung muss aber hiefür aufgebaut werden. Nur die Herkunftsweine werden in Zukunft eine „A.P.Nr.“ haben. Es wäre daher wünschenswert, wenn man mit der A.P. neue Wertigkeiten aufbauen könnte und sie nicht als selbstverständliches Recht für alle Weine ansehen würde. Die „A.P.Nr.“ könnte also neuen Glanz bekommen – ein Fakt, der in Zukunft aber für den Begriff „Gutsabfüllung“ in der Vermarktung noch viel wichtiger sein wird. Beide Angaben werden in Zukunft von großem Vorteil sein, Regionalität und Preisniveau umzusetzen und die Abgrenzung zu den Massenweinen sichern zu können. Diese Wertvorstellungen muss man sich aber bewusst machen, was nutzbar ist auch nutzen und sie nicht wie bisher als Selbstverständlichkeit verschleudern – im globaleren Markt werden regionale Besonderheiten von besonderer Bedeutung sein!
Kombinationen aus altem und neuem System sind zunächst schwer vorstellbar. Um aber alte Werte dennoch erhalten zu können, ist zu prüfen, ob nicht Weine mit Restzucker im alten System weiter leben und trockene Weine nach dem neuen System vermarktet werden könnten. Die seit vielen Jahren geforderte Trennung zwischen trockenen Weinen und anderen wäre damit auch erreichbar. Allerdings ist es schwer abzuschätzen, welchen Aufwand diese Differenzierung mit sich bringt und wie der Verbraucher darauf reagiert. Ein fließender Übergang wäre mit dieser Systematik denkbar und je nach Anteil trockener Weine im Betrieb sogar eine echte Alternative.


Konsequenzen für ……
den Fassweinwinzer erwarten schwere Zeiten. Es ist anzunehmen, dass die Kellereien aus vielerlei Gründen (keine A.P., Anreicherung, Süßung, Beschaffungsmarkt usw.) die neue Kategorie „Wein“ bedienen werden. Dies wird die Abhängigkeit der Winzer vom Preisdiktat der Kellereien noch verstärken. Jetzt wird deutschlandweit beim billigsten Anbieter gekauft werden können – bisher immer nur im b.A! In dieser Situation bleiben dann nur weitere Kostenoptimierung und Flächenausweitung. Für Steillagengebiete ergeben sich daraus nicht gerade aufmunternde Zukunftsperspektiven. Lediglich in „Modewein“ - Gebieten könnte eine gewisse Menge- dann aber mit Herkunft- am Fassweinmarkt nachgefragt werden. Alternativen bieten sich für Fassweinwinzer im Anschluss an eine Genossenschaft, im Abschluss von Bewirtschaftungsverträgen mit Direktvermarktern bzw. aber auch in der Selbstvermarktung, wobei bei der letzteren Alternative erfahrungsgemäß der Preisrutsch am Gesamtmarkt droht.

den Selbstvermarkter werden schwere Zeiten einholen, wenn ihm keine Maßnahmen zur Preissicherung gelingen. Dazu ist es unerlässlich, eine stärkere Qualitätsdifferenzierung in Bezeichnung und Sensorik vorzunehmen. In oberen Bereich muss Herkunftsbezug statt Sortenbezug erfolgen, Mengen müssen den Preisen in der Pyramide angepasst werden und die Trockenschiene im oberen Segment mit viel Bedacht ausgedehnt werden – denn süß und billig- werden Andere in Zukunft einfacher können. Eine Flächenausweitung wird in den meisten Betrieben nur mit Fremd – AK gehen. Dazu muss man in der Lage und auch bereit sein. Alternativen bieten sich im gewissen Umfang mit Bewirtschaftungsverträgen. Allerdings gilt hier mehr denn je der Grundsatz…im Preisgebot „leben und leben lassen“ sonst wird es schnell keine Winzer mehr geben, die Weinberge für Bewirtschaftungsverträge bewirtschaften. Für Selbstvermarkter wird es in Zukunft unerlässlich, gemeinsame Strategien zu entwickeln anstatt wie bisher ihrem Einzelkämpfertum zu frönen. Gute gemeinsame Ideen sind gefragt – nur diese interessieren Journalisten.

den Gesetzgeber gehen die Neuregelungen unmittelbar an, da das zur Verfügung stehende Zeitfenster kürzer als gedacht ist. Bis zum 1.8.2010 muss ein Regelwerk zur Umsetzung der EU – Marktordnung stehen. Neue Herkunftsbegriffe wird es zwar erst 2012 geben können, die Ernte dafür wird aber bereits 2011 eingebracht, die Weinberge dazu schon im nächsten Winter geschnitten und die Rebsorten bereits im Frühjahr 2010 gepflanzt. Neue Herkunftsbegriffe müssen also schnellstens geregelt werden und wenn man die neue Marktordnung als Chance verstehen will, muss von allen Verbänden (Weinbau- und Kellerei-) dazu mehr Weitsicht verlangt werden als dies in der Vergangenheit der Fall war. Es muss diese Mal gelingen, ernsthafte Pyramiden zu bauen. Mindestmostgewichte, ein maximales Maß an Liberalität und Eigenverantwortung reichen hier nicht aus, das haben 200 Jahre Weinrechtsgeschichte gezeigt.


Denkansätze für die Zukunft
  1. Der Regionalbezug schützt vor Massenkopien. Es gilt der Grundsatz – je enger, desto wertiger- egal, ob im alten oder neuen System! Leider werden für diesen Grundsatz die Lagen im neuen System kaum nutzbar sein (Einigung?), so dass über Flur- / Gewannennamen oder andere Alternativen nachgedacht werden muss.
  2. Prüfkriterien nach dem Pyramidensystem bauen. Es gilt der Grundsatz – je wertiger der Wein, desto höher die Maßstäbe – egal, ob im neuen oder im alten System! Mostgewichte reichen hier schon lange nicht mehr – ein Qualitätsstufen – Relaunch muss unbedingt erfolgen. Die Einstufung nach „Qualität im Glase“ muss bleiben, sensorische Weiterbildung für viele Winzer ist aber dabei unerlässlich. Dass Investitionen vor dem Gewinn kommen und dass Weine erst Namen bekamen, wenn sich herum gesprochen hatte, dass sie gut sind, zeigt die Weinbaugeschichte der letzten 200 Jahre in unendlich vielen Beispielen.
  3. Wertige Bezeichnungen als Werbeträger. Es gilt der Grundsatz - es muss/ es kann nicht alles Spitze sein! Alles in der Vergangenheit als Qualitätswein zu vermarkten, war falsch. Alles in Zukunft als g.U. zu füllen, wird ebenso falsch sein. Gut und besser hat nur einen Wert, wenn es auch etwas darunter – etwas Normales gibt. Eine vom Kunden klar nachvollziehbare Begriffs – Preis – Mengen – Sensorik - Pyramide entscheidet in Zukunft über die Glaubwürdigkeit des Gesamtsystems. Auch neue Bezeichnungen bringen nur etwas, wenn Änderungen nicht nur erzählt werden sondern wenn sie erlebbar sind. Die Begriffe A.P.Nr., Weingut und Gutsabfüllung müssen viel stärker in den Vordergrund gestellt werden als in der Vergangenheit!


„Selection“ als Muster ohne Wert ?
Ertragsbegrenzung, höheres Mostgewicht, eingegrenzte Herkunft, Restzuckervorgabe, spätere Vermarktung …. alles das klingt nach neuer EU Marktordnung im gehobenen Segment. Es war dies aber die Definition der „Selection“! In ihrer Definition war bereits ein Vorgriff in die Zukunft enthalten – die Branche war aber zur Durchführung der Kriterien noch nicht reif, die „Selection“ musste scheitern! Es gab weder Ertragskontrollen, noch gab es sensorische Ziele in der Typizität. Mit jämmerlichen 1,5 Punkten bei der A.P. musste sie nur 50% der Riesling – Hochgewächs- Kriterien erfüllen. Das konnte nicht gut gehen! Für einen zukünftigen Erfolg wird man in Zukunft sicher mehr investieren müssen. Die „Selection“ zeigt die Systemfehler im deutschen System schonungslos auf – aber sie bleibt im Gesetz und könnte sogar mit den o.a. neuen Ideen erfolgreich wiederbelebt werden. „Selection“ könnte sogar ein gedankliches Bindeglied zwischen altem und neuem Begriffssystem sein / bzw. doch noch werden!


Fazit
Die neue EU – Marktordnung bietet vielfältige Gelegenheit, aus Fehlern der Vergangenheit zu lernen. Sie bietet einerseits viele Chancen für die Zukunft und stellt eine Herausforderung zum „Bessermachen“ dar. Andererseits kann sie aber auch beim Misslingen der Reformen ein Großangriff auf die Weinbaustruktur der nördlichen Steillagengebiete sein. Versteht man deren Ansätze wirklich als Chance, so müssen Änderungen her – egal, ob im alten oder im neuen System. Im bestehenden System werden Änderungen nur auf dem Wege der Eigenkritik und Eigeneinsicht geschehen können, im System der neuen EU – Marktordnung dagegen geht der Weg zumindest für Deutschland nur über mehr Druck und Zwang zur Einigung untereinander. Egal welcher Weg beschritten wird ….. es wird kein leichter sein!

tagungsband_54.Kellerw._bamberger.pdf

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