Der Jahrgang 2010 – eine Herausforderung für die Kellerwirtschaft. Erfahrungen und Folgen aus Sicht der:
- bakteriellen Entsäuerung

Vortrag von Dipl. Oen. Ulrich Hamm, DLR Rheinhessen-Nahe-Hunsrück,
anläßlich der 55. Kreuznacher Wintertagung 2011


Für den Jahrgang 2010 ist das Säuremanagement das zentrale Thema der Oenologie. Es gilt die sehr hohen Gesamtsäuregehalte zu reduzieren, um stabile, harmonische Weine zu erzeugen. Der begrenzende Faktor hierbei ist aber der meist sehr geringe Weinsäuregehalt in Kombination mit hoher Äpfelsäurekonzentration. Weine mit solchen Ausgangswerten können nur durch Doppelsalzentsäuerung oder den biologischen Säureabbau (BSA) harmonisiert werden. Dies wirft die Frage auf, ob der BSA ein geeignetes Entsäuerungsverfahren für den aktuellen Jahrgang ist.

Zahlreiche Argumente sprechen in diesem Jahr für die Durchführung eines bakteriellen Säureabbaus.
Allen voran ist die Reduktion der Äpfelsäure bei gleichzeitiger Schonung der Weinsäure. Hinzu kommt die geringere Erhöhung des pH-Wertes im Vergleich zu einer der chemischen Entsäuerungen. Dies hat zur Konsequenz, dass die mikrobiologische Wirksamkeit der schwefeligen Säure eher erhalten bleibt. Abgesehen hiervon sind trockene Weine mit vollständig abgebauter Äpfelsäure, auf Grund der fehlenden Nahrungsgrundlage für Hefen und Bakterien; mikrobiologisch deutlich stabiler. Ein weiterer Aspekt ist, dass durch einen BSA weder Calcium- noch Kalium-Ionen eingetragen werden und infolgedessen die Kristallstabilität deutlich einfacher zu erzielen ist. Nicht zu vernachlässigen sind auch die sensorischen Veränderungen der Weine durch den BSA. So mangelt es vor allem den früh gelesenen Rebsorten oft an Struktur und Nachhall, dies kann durch den Schmelz eines BSA in vielen Fällen ausgeglichen werden.
Mann kann folglich die Frage, ob der biologische Säureabbau für den Jahrgang 2010 geeignet ist, mit Ja beantworten, sofern die „Spielregeln“ der Milchsäurebakterien eingehalten werden.

Voraussetzung für BSA
Optimal
Grenzbereich
Gesamt SO2
< 20 mg /L
Max. 45 mg /L
Temperatur
18°C – 22°C
Min. 16°C
Max. 24°C
pH-Wert
3,2 – 3,4
Min. 3,1
Max. 3,8
Alkoholgehalt
<12,5 % vol
Max. 14,5 % vol
Beimpfungszeitpunkte
Simultan (vor Gärung)
Nach der Gärung
Max. 5g/L RZ


Die Ausgangssituation für die erfolgreiche Durchführung eines BSA ist insgesamt als eher ungünstig zu beurteilen. Der Fäulnisbefall, die sehr hohen Äpfelsäuregehalte (bis zu 12g/L) und teilweise auch eine mangelnde physiologische Reife der Trauben führen zwangsläufig dazu, dass der BSA in der Regel nur sehr langsam in Gang kommt und insgesamt auch wesentlich länger dauert als in anderen Jahren. Die zu verstoffwechselnden Äpfelsäuremengen sind nun mal zwei bis dreimal höher als in den Vorjahren. Die Konsequenz hieraus ist, dass auch unter optimalen Rahmenbedingungen der Zeitraum zwischen der Beimpfung mit Milchsäurebakterien und einer messbaren Äpfelsäureabnahme durchaus bis zu drei Wochen betragen kann. Sollten einzelne Parameter im Grenzbereich liegen kann diese Zeit auch deutlich länger sein. Hinzu kommt, dass der Eigentliche Verlauf des BSA in der Regel sehr langsam aber jedoch gleichmäßig ist. Ein Zeitraum von der Beimpfung bis zum Ende des biologischen Säureabbaus von 6 – 10 Wochen muss daher für 2010 als normal betrachtet werden. Dies erfordert von den Winzern selbstverständlich ein enormes Maß an Geduld und einen hohen Arbeits- und Kontrollaufwand. Denn es ist während dieser sensiblen Phase nur äußerst schwer zu beurteilen ob es sich tatsächlich um die jahrgangstypische Verzögerung handelt oder der BSA überhaupt nicht abläuft.
In den meisten Fällen sind Probleme mit dem BSA im aktuellen Jahrgang jedoch auf Anwendungsfehler zurückzuführen. Häufig wurde der Grenzwert von 40-45mg/L gesamt SO2 überschritten, dies macht einen BSA nahezu unmöglich. Ferner muss die Temperatur unbedingt im Bereich zwischen 15°C und 24°C möglichst konstant gehalten werden, den gleichmäßigen Verlauf des BSA sicherzustellen. Nicht geeignete Hefen und eine mangelhafte Nährstoffversorgung sind weitere Gründe für Probleme mit dem biologischen Säureabbau. Insgesamt waren bei sorgfältiger Arbeitsweise keine gravierenden Probleme zu beobachten.

Um die sensorische Beeinflussung der Weine durch den BSA so gering wie möglich zu halten wurden in den letzten Jahren vor allen Dingen zwei Strategien empfohlen:
Die simultane Beimpfung von Hefen und Milchsäurebakterien konnte bei den meist tiefen ph-Werten eigentlich gut durchgeführt werden. Auf Grund der Vorbedingungen und vereinzelt aufgefallenen Gärstörungen ist jedoch die Beimpfung der Weine nach der Gärung für den aktuellen Jahrgang die geeignete Vorgehensweise.
Die Verwendung von Citrat-Negativen Bakterienstämmen führte insgesamt zu sehr fruchtigen, sortentypischen Weinen. Folge hieraus war, dass die Nachfrage sehr groß war und zeitweise Lieferschwierigkeiten für diese Kulturen bestanden. Daher musste oft gezwungenermaßen auf konventionelle Stämme zurückgegriffen werden, wenn gleich die Citrat-Negativen Stämme im Weißweinbereich auf Grund Ihrer sensorischen Eigenschaften eigentlich immer überlegen waren. Unterschiede im Verlauf des BSA sind bei den Unterschiedlichen Stämmen nicht zu erkennen, sondern meist wie oben beschrieben auf die Einhaltung der Rahmenbedingungen zurückzuführen.
Insgesamt fällt die sensorische Beurteilung der Weißweine nach dem BSA meist sehr positiv aus, da die Fülle und Säureharmonie entscheidend für den Jahrgang 2010 sind. Leichte BSA-typische Veränderungen, auch bei konventionellen Stämmen, werden dagegen als nicht störend bezeichnet.

Der Verschnitt von BSA Weinen mit chemisch entsäuerten Weinen bietet enorme Möglichkeiten um harmonische 2010er Weine auf die Flasche zu bringen. Es sollte aber hierbei der pH-Wert und die Schwefelstabilität beachtet werden. Denn durch die geringere mikrobiologische Wirksamkeit der schwefligen Säure bei höheren pH- Werten besteht die Gefahr, dass durch die Verschleppung von Milchsäurebakterien es auch zu einem BSA nach dem Verschnitt oder gar auf der Flasche kommen kann. Daher ist von der Filtration über den Verschnitt und schließlich auch bei Abfüllung eine sorgfältige Arbeitsweise erforderlich um unangenehme „Spätfolgen“ zu vermeiden.

tagungsband_55_kellerw._Hamm.pdf tagungsband_55_kellerw._Hamm.pdf