Vortrag von Jörn Butterfass, DLR Rheinhessen-Nahe-Hunsrück,
anläßlich der 55. Kreuznacher Wintertagung 2011
Die Frage nach der Kristallstabilität im Wein stellt sich jedes Jahr. In diesem Jahr werden die umfangreichen Entsäuerungsmaßnahmen zusätzliche Fragen hinsichtlich der Kristallstabilität aufwerfen. Im Wein fallen in der Regel Salze der Weinsäure, so genannte Tartrate, aus. Die zwei wichtigsten sind Kaliumhydrogentartrat (KHT), der „echte“ Weinstein, und Calciumtartrat (CaT).
Ist ein Wein mit den betreffenden Salzen untersättigt, bleiben diese in Lösung. Ist er übersättigt, fallen die Salze als Kristalle aus. Die Rahmenbedingungen für eine Kristallisation sind aber je nach Salz verschieden. KHT fällt beispielsweise gerne bei Kälte aus, CaT eher bei höheren Temperaturen.
In der Regel stabilisiert sich ein Wein während der Lagerung von selbst. Man kann zum Beispiel die Winterkälte ausnutzen oder die Entfernung von Schutzkolloiden durch scharfe Filtration. Eine Lagerung bei wärmeren Temperaturen wirkt sich positiv auf die Calciumstabilität aus, kann jedoch 6 – 8 Wochen in Anspruch nehmen.
Vor der Füllung sollte die Kristallstabilität beurteilt werden, da die Eigenstabilisierung, je nach Behandlung des Weins, nicht immer ausreicht. Großen Einfluss auf die Kristallstabilität übt die Entsäuerung aus, insbesondere wenn sie nicht optimal oder unzureichend verlaufen ist.
Setzt man einem überentsäuerten Wein zum Beispiel Süßreserve zu die nicht oder wenig entsäuert wurde, wird die Weinsäure aus der Süßreserve mit dem überschüssigen Calcium im Wein ausgefällt. Dies kann im schlimmsten Fall erst auf der Flasche geschehen. Genauso könnte es sich beim Verschnitt verhalten, wenn ein überentsäuerter und ein nicht entsäuerter Wein verschnitten werden. Deswegen spielen der Calcium- und Weinsäuregehalt nach Entsäuerung und vor Verschnitten oder Süßung eine große Rolle.
Zur Beurteilung der Kristallstabilität sind mehrere Verfahren bekannt:
Kältetest. Der füllfertige Wein wird für ca. 4 bis 7 Tage im Kühlschrank gelagert und mehrmals täglich durchmischt, bei restsüßen Weinen verlängert man die Verweilzeit besser um 2 bis 3 Tage. Im Idealfall setzt man der Probe 1-2%Vol. Alkohol zu, was eine tiefere Temperatur simuliert und den Ausfall beschleunigt. Ist nach diesem Test kein Kristallausfall erfolgt, gilt der Wein als hinreichend stabil.
Minikontaktverfahren oder konduktometrische Bestimmung der Sättigungstemperatur bedürfen weiterer labortechnischer Ausstattung und werden in der Regel in Labors durchgeführt.
Die Sättigungstemperatur (ST) gibt an, bei welcher Temperatur ein Wein mit gelöstem Weinstein gesättigt ist. Temperaturen unter der ST bedeuten eine ungesättigte Lösung, es ist mit keinem Ausfall zu rechnen, Temperaturen über der ST bedeuten eine übersättigte Lösung, es kann zu einer Kristallausscheidung unterhalb dieser Temperatur kommen. Die Dauer und Tiefe der Temperatur beeinflussen die Bereitschaft zur Kristallausfällung. Auch ein Wein, der mit einer ST von 10°C als stabil gilt (siehe Tabelle), kann bei einer Lagerung bei 5°C über längere Zeit Weinstein ausfällen.
Bei mit CaCO3 entsäuerten Weinen spielt der Calciumgehalt im Zusammenhang mit der Kristallstabilität eine große Rolle. Ist ein hoher Rest-Calciumgehalt (>150mg/l) vorhanden, sollte die Calciumstabilität bestimmt werden. Dies erfolgt mit der konduktometrischen Bestimmung der Sättigungstemperatur.
Tabelle Sättigungstemperaturen verschiedener Weinarten
Kristallart | | Weißwein | Rotwein | Sektgrundwein | Traubensaft |
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KHT | stabil | ≤ 12°C | ≤ 15°C | ≤ 10°C | ≤ 14°C |
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bedingt stabil | 12°C - 16°C | 15°C - 19°C | | |
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instabil | >16°C | >19°C | | |
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CaT | stabil | < 16°C | < 20°C | | |
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bedingt stabil | 16°C - 20°C | 20°C - 25°C | | |
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instabil | >20°C | >25°C | | |
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Man muss also bei der Bestimmung der Kristallstabilität immer unterscheiden welche Art von Kristallen man beurteilt. Wurde ein Wein nur mit KHCO3 entsäuert, interessiert der Calciumgehalt eigentlich nicht, aber der zu erwartende, höhere Kaliumgehalt. Bei CaCO3 entsäuerten Weinen ist der Calcium-, sowie der Kaliumgehalt zu bewerten.
Ist ein Wein nicht kristallstabil, muss er, je nach Kundenstamm und Philosophie, stabilisiert werden. Dazu sind verschiedene Verfahren bekannt:
1. | Verfahren zum Beschleunigen der Kristallausfällung / zur Beseitigung der Übersättigung
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 | Kälteverfahren. Lagerung des scharf filtrierten Weines bei kalten Temperaturen (<0°C, Winterkälte) und periodisches Aufrühren. Danach Abtrennen der Kristalle bei Kälte, um diese nicht wieder in Lösung zu bringen. Ein technisch einfach durchzuführendes Verfahren, was jedoch bei geringer Übersättigung nicht funktioniert. Gibt man 4g/l Kontaktweinstein zu, ist die Lösung stärker übersättigt, der Weinsteinausfall kann nun einfacher stattfinden.
Kontaktverfahren. Der füllfertige Wein wird im Kühltank auf unter 4°C gekühlt, unter ständiger Durchmischung wird 4g/l Kontaktweinstein zugegeben und für ca. 2 bis 3 Stunden in Schwebe gehalten. Danach wird der ausgefallene Weinstein mit dem Kieselgurfilter, ohne Filterhilfsmittel, im kalten Zustand entfernt um ihn nicht wieder in Lösung zu bringen. Dieses Verfahren gilt als sicher, ist aber wegen hohen Aroma- und Kohlensäureverlusten, sowie dem hohen Energieaufwand, nicht zu als vorteilhaft zu betrachten. |
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2. | Verfahren zum Verhindern der Kristallausfällung / Zusatz von Kristallisationshemmstoffen
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 | Metaweinsäure. Eine hochmolekulare, polymerisierte Weinsäure, die als Schutzkolloid wirkt. Zugabe von max. 10g/hl verhindert Ausfall von KHT, die Wirkung ist jedoch zeitlich auf ca. 1 Jahr begrenzt, da sie wieder in natürliche Weinsäure zerfällt. Sollte ca. 3 Tage vor der Füllung zugesetzt werden und vor der Membranfiltration schichtenfiltriert werden, da es sonst zu Verblockungen der Membrane führen kann. Bei der Filtration nach Zugabe sollten die ersten 300l im Kreis filtriert werden, da durch die Adsorptionswirkung des Filters viel Metaweinsäure gebunden wird. Im Zusammenhang mit Gummi arabicum wirksamer. Bei Export ist die Zulassung im Zielland zu überprüfen, in Japan ist Metaweinsäure beispielsweise nicht zugelassen.
Carboxymethylcellulose. Modifizierte, pflanzliche Cellulose, ist im Lebensmittelbereich schon länger bekannt, als Verdickungsmittel, Konsistenzregler, u.v.m. Obwohl die Wirkung gegen Kristallausscheidungen bereits seit den 1980ern bekannt, erst seit 2009 für Wein zugelassen, Höchstmenge 10g/hl reine CMC. Verhindert langfristig den Ausfall von KHT. Flüssige Präparate, mit einem Gehalt von meist 5% rein CMC, sind zu bevorzugen, da sie leichter zu handhaben sind. Membranfilter können verblockt werden. Dosage nach Bedarf ermitteln, auch zum Verhindern zu großer Farbverluste bei farbinstabilen Rotweinen. Die Eiweissstabilität ist zu überprüfen, da CMC Eiweiße ausfällen kann. |
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3. | Sonderverfahren zum Entfernen der Kristallisationspartner
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 | DL-Weinsäure. Racemat aus D+ und L- Weinsäure. Entfernt überschüssiges Calcium, indem es Calciumionen an sich bindet und als DL-CaT ausfällt, das ca. 10-mal schwerer löslich ist als normales CaT. Eine Stabilisierungszeit von 3-4 Wochen, bei ca. 15°C sollte gegeben sein. Um 100mg/l Calcium zu entfernen werden erfahrungsgemäß 300mg/l DL-Weinsäure benötigt, was eine Erhöhung der titrierbaren Gesamtsäuren von ca. 0,3g/l mit sich bringt. Ein im 2010er Jahrgang unerwünschter Nebeneffekt, eine weitere Entsäuerung könnte von Nöten sein. Um die Erhöhung der titrierbaren Gesamtsäure zu umgehen kann hier auch Di-Kaliumuvat verwendet werden, welches neutral ist. Man benötigt 50mg/l Di-Kaliumuvat um 10mg/l Calcium zu entfernen. Hierbei wird der Kaliumgehalt stark erhöht, was eine Kaliumstabilisierung unumgänglich macht. Beide Verfahren müssen von einem Oenologen / Labor überwacht werden.
Elektrodialyse. Ein elektrochemisches Verfahren das die Leitfähigkeit (Sättigungs-temperatur) des Weins senkt. Im Labor wird die benötigte Leitfähigkeitsabsenkung ermittelt, das Dialysegerät ist in der Regel mit einem Laborgerät verbunden und steuert sich selbständig. Vorteilhaft ist die Weinsteinstabilisierung in einem Durchgang, nachteilig wirken sich die hohen Anschaffungskosten für Dialysegerät und Laborausstattung, sowie der hohe Reinigungs- und Konservierungsaufwand der Membranpakete aus. Durch die Entfernung von Calcium und Kalium wird der pH-Wert um 0,1 – 0,2 Einheiten gesenkt, was einen saureren Geschmack hervorbringt. Somit ist die Weinsteinstabilisierung mittels Dialyse eine legale Aufsäuerung, mit der Folge, dass immer mehr Weine aus südlichen Ländern als Sektgrundwein genutzt werden können und deutsche Sektgrundweine verdrängt werden.
Ist ein Wein durch eines der genannten Verfahren stabilisiert worden, bedarf es unbedingt einer anschließenden Nachkontrolle. Beim Kontaktverfahren kann oft ein erneuter Durchgang, auf Grund einer mangelhaften Durchführung, von Nöten sein. |
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Kostenvergleich
Tabelle Ca. Einkaufpreise (€) pro kg in handelsüblichen Mengen, inkl. MwSt.
CMC, flüssig | Di-Kaliumuvat | DL-Weinsäure | Metaweinsäure |
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3,30 | 12,10 | 13,20 | 9,70 |
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Tabelle Kosten (€) pro 1.000 Liter
Aufwandmenge | CMC, flüssig | Di-Kaliumuvat | DL-Weinsäure | Metaweinsäure |
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10g/hl | - | - | - | 0,97 |
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50g/hl | 1,65 | 6,05 | 6,60 | 4,85 |
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100g/hl | 3,30 | 12,10 | 13,20 | 9,70 |
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