Heidrun Vogt1, Thomas Kaffer1, Jürgen Just1, Annette Herz2, Barbara Fejoz3, Kirsten Köppler 1,4
1 Julius Kühn-Institut (JKI) - Bundesforschungsinstitut für Kulturpflanzen, Institut für
Pflanzenschutz in Obst- und Weinbau , Schwabenheimer Straße 101,
69221 Dossenheim,
2 Julius Kühn-Institut (JKI) - Bundesforschungsinstitut für Kulturpflanzen, Institut für
Biologischen Pflanzenschutz, Heinrichstr. 243, 64287 Darmstadt,
3 RIFCON GmbH, Im Neuenheimer Feld 517, 69120 Heidelberg,
4 Landwirtschaftliches Technologiezentrum Augustenberg (LTZ) Augustenberg,
Außenstelle Stuttgart, Reinsburgstraße 107, 70197 Stuttgart
Hinsichtlich der Bekämpfung der Kirschfruchtfliege haben sich nach dem Wegfall breitwirksamer hocheffektiver Insektizide und der Anwendung neuer Wirkstoffe grundlegende Änderungen ergeben. Sowohl Einschränkungen in der Anzahl der Behandlungen und Wartezeiten (Rückstände) als auch andere Wirkmechanismen erfordern ein umfassendes Wissen zur Biologie und Ökologie der Kirschfruchtfliege, um die Bekämpfungsmöglichkeiten optimal auszuschöpfen. Seit mehreren Jahren befasst sich das JKI, Institut für Pflanzenschutz in Obst- und Weinbau, in Dossenheim mit der Entwicklung von alternativen Bekämpfungsverfahren sowie einer Vielzahl von Aspekten zur Ökologie und Biologe der Kirschfruchtfliege, insbesondere:
• Schlupfzeitraum der Kirschfruchtfliege;
• Flugaktivität und Vorhersage des Flugbeginns mittels Temperatursummen;
• Korrelation zwischen Reife der Weibchen und Fruchtentwicklung;
• Eiablagezeitraum;
• Auftreten der Larvenstadien;
• Ausbreitungsverhalten der Adulten;
• Natürliche Mortalität der in den Boden wandernden L3-Larve und der Puppen.
Zur Überwachung des Schlupfes aus dem Boden wurden Bodenphotoeklektoren eingesetzt, zur Überwachung der Flugaktivität Gelbfallen, Typ Rebell®. Die Eiablage in die Kirsche erfolgte visuell unter dem Binokular, die Erfassung der Larvenstadien mittels der Salzwasssermethode. An von Gelbfallen entnommenen Weibchen wurde die Entwicklung der Ovarien und die Eireifung untersucht. Parallel hierzu erfolgte die Beobachtung der Kirschenentwicklung. Zur Untersuchung des Ausbreitungsverhaltens wurden markierte Fliegen freigelassen und mit Gelbfallen zurückgefangen.
Wichtigste Ergebnisse aus den Jahren 2006-2010:
- der Schlupf der Fliegen aus dem Boden erfolgte von Anfang/Mitte Mai bis Mitte Juni über einen durchschnittlichen Zeitraum von 27 Tagen mit dem Hauptschlupf (90% der Fliegen) innerhalb von durchschnittlich 14 Tagen;
- die Flugaktivität gemäß Gelbfallen an Kirschbäumen der Sorte ‚Hedelfinger‘ erstreckte sich von Anfang Mai bis Ende Juli über durchschnittlich 75 Tage mit dem Hauptauftreten der Fliegen (90%) innerhalb von 40 Tagen. Einzelne Fliegen wurden bis Ende August und in Vorjahren sogar bis in den September hinein beobachtet. Es handelt sich hierbei vermutlich um Fliegen, die unmittelbar nach der Verpuppung im gleichen Jahr, d.h. ohne die sonst erforderliche Ruhephase (obligatorische Diapause) schlüpfen. Nach unseren Beobachtungen ist dies bei einem geringen Anteil der Population (< 1%) der Fall;
- sowohl Gelb- als auch Bodenfallen erfassten die Fliegen frühzeitig, manchmal waren Fliegen zuerst an den Gelbfallen zu finden;
- die Temperatursummen (Summe der durchschnittlichen Tagestemperaturen in 5 cm Bodentiefe abzüglich 5°C (= Entwicklungsnullpunkt ) bis zum Flugbeginn variierten zwischen 347 und 415°C (Durchschnitt: 375°C) und waren damit niedriger als die von Boller et al. (1964) für die Schweiz mit 430°C berechnete;
- die Ovarien der zu Beginn des Fluges mit Gelbfallen gefangenen Weibchen waren meistens nicht oder kaum entwickelt; 8-10 Tage nach dem Fang der „ersten“ Weibchen betrug der Anteil der Individuen mit ausgereiften Ovarien ca. 50% und stieg in den folgenden Tagen stetig auf 90-100% an.
- die Eiablage begann, wenn die Kirschen von grün zu grüngelb umfärbten. Zu diesem Zeitpunkt waren die Kirschen noch sehr hart (Fruchtfestigkeit gemäß Penetrometermessung: > 18 kg/cm2 (im Vergleich reife Kirschen: 0,5-1,5 kg/cm2);
- die Eiablage erfolgte, solange Kirschen zur Verfügung standen, und auch in reife Früchte;
- von über 1000 freigelassenen markierten Fliegen (Mitte Juni 2006, Kirschbehang an den Bäumen gut) wechselten 7 Individuen ( 0,7%) zwischen 2 Kirschquartieren über eine Entfernung (Luftlinie) von ca. 180 m;
- die natürliche Mortalität ab dem Einwandern der verpuppungsbereiten Altlarven in den Boden, über die Verpuppung und bis zum Schlupf der Fliegen im Folgejahr war mit durchschnittlich 90% sehr hoch.
Die Kirschfruchtfliege ist sehr gut an ihre Wirtsfrüchte angepasst. Flugaktivität und Eiablage finden über mehrere Wochen statt. Lediglich zu Beginn des Fluges tritt aufgrund der erforderlichen Zeit für die Ausreifung der Ovarien (Präovipositionsperiode) eine kurze Phase auf, in der keine Eiablage erfolgen kann. Diese Phase ist gut mit der Entwicklung der Wirtsfrüchte korreliert. Um den Flugbeginn mit hoher Sicherheit zu erfassen, sind mehrere Fallen pro Kirschquartier erforderlich. Die Kirschen können bereits frühzeitig mit Eiern belegt werden, d.h. wenn sie noch recht hart, grün bis grüngelb sind, sowie in allen folgenden Reifestadien. Die Adulten breiten sich meist nur über geringe Entfernungen auf, ein geringer Anteil der Population kann aber auch weitere Strecken zurücklegen. In gemischten Sortenbeständen mit unterschiedlichen Reifezeiten folgen die Fliegen dem Wirtsfrüchteangebot.
In Abhängigkeit der verfügbaren Insektizide, deren Wirkmechanismen (z.B. adultizid, ovizid, larvizid) und Persistenz müssen die Behandlungen sehr gezielt terminiert werden, um eine ausreichende Wirksamkeit zu erzielen. Zukünftig könnten Prognosemodelle, die den Populationsverlauf gut vorhersagen, bei der Terminierung der Anwendungen helfen.
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