Fragen zur Fertilität bei Sauerkirschen, Prunus cerasus L

Vortrag anlässlich des 32. Bundessteinobstseminars vom 28. - 30.11.2006 in Ahrweiler

Dr. Mirko Schuster, BAZ, Institut für Obstzüchtung, F-01326 Dresden-Pillnitz

Bei der Züchtung und dem Anbau von Sauerkirschen spielen die Fertilität und der resultierende Fruchtbehang eine entscheidende Rolle bei der Selektion von aussichtsreichen Zuchtklonen bzw. bei der Sortenwahl.
Die Sauerkirsche, P. cerasus L., ist ein natürlich entstandener Artbastard (2n=4x=32 Chromosomen) zwischen der Steppenkirsche, P. fruticosa, und der Vogelkirsche, P. avium, (Olden et al. 1968; Schuster et al. 2000). Als Entstehungsgebiete werden Kleinasien und das Kaukasusgebiet beschrieben.
Neue Untersuchungen von Hauck et al. (2002; 2006) und Tobutt et al. (2004) zeigten, dass bei der Sauerkirsche ein gametophytisches Selbstinkompatibilitätssystem die Fertilität bestimmt. Ausführlich wurde dieses gametophytische Selbstinkompatibilitätssystem bei der Süßkirsche beschrieben. Siehe hierzu den Beitrag von Schuster et al. im Obstbau 11(2004). Nach den Ergebnissen von Hauck et al. 2006 sind Sauerkirschen selbstinkompatibel. Sie können sich also nicht selbst bestäuben und benötigen somit eine Bestäubersorte. Verantwortlich hierfür sind, wie bei der Süßkirsche bekannt, S-Allele. Da die Sauerkirsche tetraploid (4x) ist, besitzt der Pollen zwei S-Allele. Selbstfertilität bei Sauerkirschen liegt nur vor, wenn beide S-Allele im Pollen nicht funktionstüchtig, dies heißt mutiert, sind. Wenn dies vorliegt, wird der Pollen vom Griffelgewebe nicht als eigener Pollen erkannt. Der Pollenschlauch kann so ungehindert durch das Griffelgewebe in den Fruchtknoten einwachsen und die Eizelle bestäuben. Die Hauptanbausorte ‘Schattenmorelle’ besitzt zwei nicht funktionstüchtige, mutierte, S-Allele und ist somit selbstfertil.

Um einen Überblick zur Fertilität von Sauerkirschsorten zu erhalten, wurde ein Sortiment von 74 Sauerkirschsorten untersucht. Es handelte sich dabei um Sorten aus allen Anbaugebieten Europas. Bei allen Sorten wurde der Fruchtbehang nach freier Abblüte und nach der Bestäubung mit eigenem Pollen (Selbstung) über mehrere Jahre untersucht. Die Ergebnisse sind in Tabelle 1 dargestellt. Bei der Auswertung konnten drei Fertilitätsgruppen beschrieben werden.

Selbstfertile Sorten (SF)
Sorten, welche bei freier Abblüte und nach Selbstbestäubung einen guten Fruchtansatz erzielten > 15 %

Selbstinkompatible Sorten (SI)
Sorten, welche bei freier Abblüte einen durchschnittlichen Behang erzielen aber nach Selbstbestäubung keinen Fruchtansatz zeigen (< 1 %)

Partiell selbstfertile Sorten (pSF)
Sorten, welche bei freier Abblüte einen geringen bis durchschnittlichen Fruchtbehang und nach Selbstbestäubung einen Fruchtansatz von 1 – 15 % erzielen

Tabelle 1: Ergebnisse der Untersuchungen zur Fertilität von 74 Sauerkirschsorten



Betrachtet man die Verteilung der Sauerkirschsorten auf die einzelnen Fertilitätsgruppen (SF, pSF, SI) so zeigt sich, dass ein großer Teil der Sorten nur als partiell selbstfertil eingestuft werden kann. Für die Einteilung der Gruppe der pSF-Sorten werden in der Literatur unterschiedliche Bereiche verwendet. Meist wird die Grenze zu SF mit > 10 % Fruchtansatz nach Selbstbestäubung angewendet. Für einen guten Fruchtertrag benötigt man jedoch einen Fruchtbehang von mindestens 15 %. Diese Einteilung fand deshalb auch bei der Bewertung der Fertilität der untersuchten Sauerkirschsorten in Tabelle 1 Anwendung.
Wenn man die Gruppe der pSF-Sorten unterschiedlich nach ihrem Fruchtansatzes nach Selbstbestäubung in die Bereiche von 1 – 10 %, 1 – 15 % und 1 – 20 % einteilt, so zeigen 42 %, 50 % bzw. 68 % der untersuchten Sorten eine verminderte Fertilität (pSF) oder sind SI (Tabelle 2).


Tabelle 2: Verteilung der Fertilität der 74 Sauerkirschsorten entsprechend ihres Fruchtansatzes nach Selbstbestäubung bei einer Einteilung der pSF Sorten von 1 - 10 %, 1 – 15 % und 1 – 20 %



In den folgenden Betrachtungen beziehen wir uns aber auf die in der Literatur gebräuchliche Einstufung der pSF-Sorten von 1 – 10 % Fruchtansatz nach Selbstbestäubung.

Im Zuchtprozess wurden in den letzten Jahrzehnten verstärkt Sorten aus Ungarn mit sehr guten Fruchteigenschaften und Toleranz gegenüber biotischen Schaderregern verwendet. Diese Sorten besitzen jedoch eine verminderte Fertilität, welches auch in den Sämlingsnachkommen zu beobachten ist. Um die Ursache der verminderten Fertilität zu klären, wurden Untersuchungen an Sämlingen einer Sauerkirschpopulation von ‘Köröser Gierstädt’ x ‘Vowi’ durchgeführt.
In dieser Population von 86 Sämlingen erfolgte die Bonitur des Fruchtbehangs nach Selbstbestäubung und freier Abblüte, die Untersuchung des Pollenschlauchwachstums nach Selbstbestäubung, meiotische Untersuchungen zum Paarungsverhalten der Chromosomen in der Metaphase I sowie Untersuchungen zu den S-Allelen.

Im Ergebnis der Untersuchungen wurden folgende Resultate erzielt:

1. Untersuchungen des Fruchtbehangs nach Selbstbestäubung und freier Abblüte

Für diese Untersuchungen wurden jeweils zwei Blütenäste markiert, die Blüten gezählt und bei den Selbstungen mit einer Gazetüte vor Fremdpollen isoliert.

Von den 86 untersuchten Sämlingen waren 16 Sämlinge (18,6%) selbstfertil (SF), 25 Sämlinge (29,1%) partiell selbstfertil und 45 Sämlinge (52,3%) selbstinkompatibel.

Wenn man die beiden Gruppen der SI- und pSF-Sämlinge zusammenfasst, zeigt sich, dass ca. 80 % der Sämling selbstinkompatibel (SI) sind bzw. eine verminderte Fertilität (pSF) aufweisen. Für die Selektion von selbstfertilen Genotypen mit einer guten Fertilität stehen somit nur ca. 20% der erhaltenen Sämlinge zur Verfügung.
Zusätzlich wurde beobachtet, dass 77 % der SI-Sämlinge und 40 % der pSF-Sämlinge auch bei freier Abblüte nur einen geringen Fruchtansatz von 0 - 10 % zeigen (Abbildung 1

Abbildung 1: Fruchtansatz der Sämlinge nach freier Abblüte


Die Untersuchungen zur den S-Allel-Kombinationen in den einzelnen Sämlingen (siehe Punkt 4) können die verminderte Fertilität nicht beschreiben.

2. Untersuchungen des Pollenschlauchwachstums

Zur Untersuchung des Pollenschlauchwachstums wurden je 10 selbstbestäubte Griffel nach drei bzw. vier Tagen aus den Blüten präpariert und für die späteren Untersuchungen fixiert (konserviert). Für die Untersuchungen wurden die Pollenschläuche mit einem Fluoreszenzfarbstoff angefärbt und das Einwachsen in den Griffel und in den Fruchtknoten bonitiert.
Bei allen untersuchten SF-Sämlingen erreichten die Pollenschläuche nach drei Tagen den Fruchtknoten. Bei den pSF-Sämlingen wuchsen erst nach vier Tagen Pollenschläuche aller Sämlinge in den Fruchtkonten ein. Bei den SI-Sämlingen wuchsen nach vier Tagen von 75 % der untersuchten Sämlinge einzelne Pollenschläuche in den Fruchtknoten ein.
Aus dieser Beobachtung kann geschlussfolgert werden, dass das Pollenschlauchwachstum in den pSF langsamer erfolgt als bei den SF-Sämlingen.
Das Wachstum der Pollenschläuche durch den Griffel bei den SI-Sämlingen wird durch den gametophytischen Selbstinkompatibilitätsmechanismus gehemmt. Nach vier Tagen erreichten jedoch vereinzelte Pollenschläuche den Fruchtknoten.

Aus den gemachten Beobachtungen kann man die Vermutung aufstellen, dass das verlangsamte Wachstum der Pollenschläuche in den pSF-Sämlingen eine Ursache für die schlechte Fertilität dieser Sämlinge sein kann. Da die Eizelle nur eine gewisse Lebensfähigkeit hat, ist es möglich, dass beim Erreichen des Pollenschlauches die Eizelle bereits abgestorben ist. Eine weitere Möglichkeit wäre, dass die Vitalität des Pollenschlauches nicht für eine erfolgreiche Befruchtung ausreicht.
Ob es zu einer Befruchtung der Eizellen kam, konnte nur in einzelnen Fällen beobachtet werden.

3. Untersuchungen zum Paarungsverhalten der Chromosomen in der Metaphase I der Meiose (Pollenbildung)

Für diese Untersuchungen wurden von vier SF-Sämlingen, zwei pSF-Sämlingen und vier SI-Sämlingen das Paarungsverhalten der Chromosomen in der Metaphase I der Meiose beobachtet.
Alle untersuchten SF-Sämlinge zeigten eine annähernd normale meiotische Paarung in der Metaphase I. Dies bedeutet, dass sich die beiden homologen (gleichen) Chromosomen in der Äquatorialebene finden und im weiteren Verlauf der Meiose gleichmäßig auf die sich bildenden Pollenzellen verteilt werden.
Bei den untersuchten SI- und pSF-Sämlingen konnte ein verstärktes Auftreten von Univalenten und Multivalenten bei der Paarung der Chromosomen in der Metaphase I der Meiose beobachtet werden. Dies deutet darauf hin, dass Störungen bei der Entwicklung und der Funktion der Gameten (Eizellen und Pollen) auftreten können.

Das Auftreten von Univalenten und Multivalenten in der M I der Meiose weißt darauf hin, dass diese Sämlinge mehr oder weniger als zwei homologe (gleiche) Chromosomen besitzen. Als Ursache können Introgessionen (Einlagerungen) von Chromosomen oder -abschnitten anderer Arten durch interspezifische Kreuzungen, wie mit P. avium, P. mahaleb, P. fruticosa oder ?, angenommen werden.
Weiterführende Untersuchungen müssen jedoch zeigen, ob diese meiotischen Störungen einen nachhaltigen Einfluss auf die Fertilität der Sauerkirschen haben.

4. Untersuchungen der S-Allel-Kombinationen

Für diese Untersuchungen wurden mit molekularen Methoden die S-Allel-Kombinationen in den einzelnen Sämlingen durch Radovan Bošković am East Malling Research in Großbritannien bestimmt.

Wie nach der Theorie zu erwarten war, hatten
- alle SF- und pSF-Sämlinge mindestens zwei mutierte S-Allele,
- alle SI-Sämlinge kein oder nur ein nicht funktionsfähiges S-Allel.

Diese Ergebnisse bestätigen die Theorie von Hauck et al. (2006), dass Genotypen mit zwei nicht funktionsfähigen S-Allelen selbstfertil sind.


Schlussfolgerungen
Die Ergebnisse der beschriebenen Versuche zeigen, dass die verminderte Fertilität der pSF-Sauerkirschsämlinge nicht durch das gametophytische Selbstinkompatibilitätssystem bedingt wird.

Folgende Hypothesen sollten als Ursache für die verminderte Fertilität bei Sauerkirschen diskutiert und weiter untersucht werden:

Ø Inzuchterscheinungen infolge einer geringen genetischen Variabilität innerhalb der Sauerkirschsorten
Ø Existenz von ‘stör’-Genen, welche die Befruchtung verzögern oder einschränken (keine S-Allele)

Ø Interaktionen zwischen dem Genom des Zellkernes und den Genomen des Plasmas (Mitochondrien, Chloroplasten)

Zukünftige Untersuchungen sollten deshalb gerichtet sein auf:

Ø Untersuchungen zur genetischen Diversität der Sauerkirschsorten (Fingerprinting, S-Allel-Bestimmungen)

Ø Untersuchungen zu möglichen Zusammenhängen zwischen der genetischen Diversität und der geringen Fertilität als Folge von Inzuchterscheinungen

Ø Entwicklung von Strategien für die Züchtung neuer fertiler Sauerkirschsorten












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