Warum isst der Mensch, was er isst?
Einflussfaktoren auf Essverhalten und Geschmacksbildung

Stand: 12/20/2012 12:00:00 AM
Fragt man Erwachsene nach ihren Essvorlieben, so nennen sie meist Speisen, die sie in ihrer Kindheit gerne gegessen haben, weil sie sich auch gleichzeitig an die liebevolle Fürsorge der Mutter oder an die festliche Stimmung an Weihnachten und Geburtstagen erinnern. Positive Esserfahrungen sind immer auch mit positiven Gefühlen und einer angenehmen Essatmosphäre verknüpft.
Leider ist es häufig so, dass Kinder eher zu den ungesunden Lebensmitteln und Speisen greifen. Warum ist das so? Wie kommen Kinder eigentlich auf den Geschmack und wie können Kinder gutes Essverhalten lernen?


Verschiedene Einflussfaktoren beeinflussen Essverhalten und Geschmack des Kindes sogar schon vor der Geburt. Dazu gehören Prägung, genetische Präferenzen, also angeborene Vorlieben, sowie kulturelle Gewohnheiten.


Prägung

Bestimmte Geschmacksprägungen von Neugeborenen werden schon durch das Essverhalten der Mutter während der Schwangerschaft bestimmt. Die Aromen der Speisen, die die Mutter verzehrt, gelangen über Nabelschnur und Fruchtwasser zum Kind. Eine abwechslungsreiche Ernährung der Mutter mit großer Geschmacksvielfalt bewirkt, dass das Kind später verschiedenen Lebensmitteln gegenüber eher aufgeschlossen ist als bei einer einseitigen Ernährung der Mutter.

Die Prägung setzt sich auch nach der Geburt durch die Muttermilch fort. Muttermilch ist geschmacklich deutlich vielfältiger als Flaschenmilch. Aus diesem Grund ist wahrscheinlich auch die spätere Ablehnung neuer Speisen (Neophobie) bei gestillten Kindern geringer.


Genetische Präferenzen

Die Vorliebe für „süß“ ist angeboren, was evolutionsbiologisch sinnvoll ist, weil es in der Natur keine süß schmeckenden Speisen gibt, die gleichzeitig auch giftig sind. So waren schon unsere Vorfahren auf der sicheren Seite, wenn sie unbekannte - süße - Früchte gegessen hatten. Der Geschmack „bitter“ signalisiert dagegen, dass die Speisen ungenießbar sind.
Außerdem ist „süß“ ein Signal für „Kalorien“. Energie war in der Evolution immer ein knappes Gut. Auch Muttermilch schmeckt durch ihren Milchzuckergehalt leicht süß.


Kultur

In jeder Esskultur findet, beginnend mit der Geburt, ein lebenslanges Training auf bevorzugte Lebensmittel und Speisen statt, was wesentlich über Lernprozesse und gewohnheitsbildende Erfahrungen gesteuert wird. Die spezifischen Aromen prägen natürlich auch schon während der Schwangerschaft das ungeborene Kind.


Evolutionsbiologische Programme

Kinder lieben Pommes, Pizza und Pasta, weil es diese Speisen häufig auf Kindergeburtstagen oder anderen feierlichen Anlässen gibt. Durch diese besondere Aufmerksamkeit wird dieses „ungewöhnliche“ Essverhalten noch bestärkt.
Ein radikaler Weg, Kinder davon ab zu bringen, wäre, ihnen kein anderes Essen mehr vorzusetzen. Dann käme die „spezifisch-sensorische Sättigung“ zum Tragen. Irgendwann hinge den Kindern dieses Essen „zum Halse raus“. Diese Sättigung gehört zu den evolutionsbiologischen Programmen. Denn würden wir über einen langen Zeitraum nur das Gleiche essen, hätte das einen Nährstoffmangel zur Folge.

Ein anderer Effekt ist der „Mere Exposure Effekt“. Werden neuartige Geschmackseindrücke ständig wiederholt, in dem man neue Speisen immer wieder probiert, trägt dies zur Ausbildung von Vorlieben bei. Neugeborene lernen, das zu schmecken, was ihnen angeboten wird und mit der Zeit mögen sie diesen Geschmack dann auch. Bemerkungen von Kindern, wie „Mag ich nicht!“ ohne dass etwas probiert wurde, sollte es nicht geben. Kinder müssen geschmacklich mit Neuem in Kontakt kommen, dann ist die Hürde beim nächsten Mal deutlich geringer. Manche Kinder müssen bis zu zehnmal zugreifen, bis ihnen etwas schmeckt.
Der Geschmacksvorliebe für bereits verzehrte und damit bekannte Speisen liegt ein zentrales biologisches Sicherheitsprinzip zugrunde: „Ich esse nur, was ich kenne!“ Wenn Speisen ohne negative Konsequenz vertragen wurden, dann identifiziert man sie durch die guten Vorerfahrungen als sicher (nicht giftig!) und isst sie beruhigt ein weiteres Mal.


Innenreize und Außenreize

Kleine Kinder haben noch ein ausgeprägtes Hunger- und Sättigungsgefühl, auf das man hören sollte. Im Laufe der Kindheit werden diese Innenreize durch Außenreize überlagert. Belohnung und Bestrafung mit Essen sind Außenreize, die die natürliche Regulation stören. Es sind somit falsche Strategien, Kinder an Speisen heranzuführen.

Kinder lernen vor allem über das Nachahmen von Eltern und älteren Geschwistern bzw. von den Erzieher/innen oder von anderen Kindergartenkindern. Die älteren Kinder lassen sich auch durch Medien stark beeinflussen. Setzt man diese gezielt ein, so kann es einen positiven Effekt nach sich ziehen.
Bei Geschwisterkindern kann auch der Wunsch nach Abgrenzung eine wichtige Rolle spielen. Eltern ärgern sich oft darüber, dass Geschwisterkinder unterschiedliche Vorlieben und Abneigungen haben.


Lernprozesse und Erziehung

Ernährungswissen beeinflusst bei Kindern kaum das Essverhalten. Schon die Wörter „gesund“ und „Ernährung“ lösen bei Kindern Widerstände hervor. Mit „gesund“ werden meist Lebensmittel assoziiert, die nicht schmecken und mit Bevormundung und Zwang gegessen werden sollen.
„Gesund“ bedeutet, sie müssen essen, was ihnen nicht schmeckt. Deshalb sollte man auf das Werten von Lebensmittel verzichten. Kinder können mit Argumenten wie „Du wirst krank, wenn Du Dich falsch ernährst.“ wenig anfangen, denn sie leben im „Jetzt und Heute“.

Kinder bilden manchmal richtige Marotten aus und nutzen das Essen, um im Mittelpunkt zu stehen. Hier ist es am Besten, diese Marotten einfach zu ignorieren und selbst als bestes Vorbild voran zu gehen. Wenn die Kinder keinen Erfolg erzielen, lassen sie diese Spielchen auch ganz schnell und greifen beim nächsten Mal wieder zu.

Eine gute Ernährung im Elternhaus und eine qualitativ gute Schul- und Kindergartenverpflegung in Verbindung mit einer Ernährungsbildung nach modernen, verhaltensorientierten Prinzipien können das Essverhalten positiv beeinflussen.

Information: Tipps für eine unbeschwerte Ernährungserziehung


Diätverhalten

Das beginnende oft rigide Diätverhalten bei Jugendlichen kann zu Essstörungen führen. Eine flexible Verhaltenskontrolle ist eine bessere und dauerhafte Strategie.


Fazit:

Die Einflüsse auf das zukünftige Essverhalten setzen schon sehr früh, teilweise schon vor der Geburt ein. Macht man sich diese und die genetisch festgelegten Einflussfaktoren bewusst, kann man sie gezielt in der Ernährungserziehung berücksichtigen. Je früher Eltern, Erzieher/innen und Lehrer/innen diese Einflussfaktoren in positive Bahnen leiten, desto größer ist der Erfolg auf ein lebenslanges gesundheitsbewusstes Essverhalten der Kinder.


Quellen und weiterführende Informationen


ernaehrungsberatung@dlr.rlp.de     www,fze.rlp.de/ernaehrungsberatung